Dienstag, 14. Januar 2014

Meine eigene Blind Side



Beim Sport bezeichnet man als Blind Side den toten, nicht einsehbaren Bereich des gesamtmöglichen Sehfeldes einer Person - was bedeutet, dass die entsprechende Person unbemerkt angegriffen oder getroffen werden kann, weil das Überblicken dieses Bereiches unmöglich ist.
In dem Film »Blind Side« wird dies zu Beginn für American Football erklärt.
Den ganzen Tag lang kreisen meine Gedanken schon um dieses Thema. Heute morgen sah ich mir (mal wieder) einen Teil dieses wunderschönen und inspirierenden Filmes an. Sandra Bullocks schauspielerische Leistung in diesem Film berührt mich stets in der Tiefe meiner Seele und ich breche stets in Tränen aus wenn ich sehe, wie Menschen unerwartet Liebe erfahren, oder dass ihnen überhaupt Liebe entgegengebracht wird.
Dies brachte mich dazu, über folgendes nachzudenken:  wie sehr haben wir als Menschen es nötig, unsere Blind Side zu kennen und sie abzustellen? Wie lange lebte ich mein eigenes Leben, ignorierte und übersah meine eigene riesige transsexuelle Blind Side? Mir scheint so, als ob eine Blind Side so ziemlich überall gefunden werden kann.
Bei den Eltern, an denen das Leben ihrer Kinder vorbeigeht, weil die Kinder sich nicht so entwickeln wie ihre Eltern es von ihnen erwarteten und die Kinder ihren Lebensentwurf anders ausbreiten als erwartet.
Bei Krankenversicherungen, denen wichtiger ist, Regeln und Vorschriften einzuhalten anstatt das zu tun wofür sie da sind -  die bestmögliche medizinische Versorgung für die bereitzustellen, die sie benötigen und die dafür ihre Beiträge zahlen.
Bei Menschen, die das Schicksal und die Nöte anderer Mitmenschen ignorieren, weil Mitgefühl und Anteilnahme tief in ihnen aus irgendwelchen Gründen versickerten und abstarben.




Beim American Football versucht man der Blind Side auf einfache und effektive Weise entgegenzutreten - irgend jemand muss die Blind Side der Person bewachen, die beschützt werden muss.
Ich glaube dass es sich bei uns Menschen genauso verhält - wir benötigen Menschen an unserer Seite, die uns auf unsere Blind Side aufmerksam machen, die uns auf diesem Weg helfen und die den Teil (unseres Lebens) beschützen, den wir nicht sehen können. Die uns auf die Einbahnstraßen aufmerksam machen, in die wir uns verrennen, weil unsere Blind Side uns die Abzweigungen und Kreuzungen entlang unseres Lebensweges nicht sehen ließ, die unseren Lebenslauf hätten ändern können oder die unseren Lebensweg ändern werden.

Tief berührt und bewegt war ich von der Dokumentation der transsexuellen Schweizerin - Nadja Broenimann - die als Junge namens Christian geboren wurde.  Auf ihrer Webseite hat sie ein Stream-Video eines Interviews, welches mich eine meiner Blind Sides erkennen ließ. Als sie auf ihre schwer zu ertragende Jugendzeit angesprochen wurde hatte sie eine überraschende Antwort parat. Sie sagte sie fühlte sich als Kind sehr missverstanden (sie lebte in einer Pflegefamilie) aber diese schwierigen Lebensumstände formten sie zu einer starken Persönlichkeit - und das ist etwas wofür sie heutzutage irgendwie dankbar sein kann, weil es schon eine ganze Menge benötigt um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen oder um sie aus der Bahn zu werfen.

Dieser Gedanke traf mich sehr - als Kind fühlte ich mich ganz genauso, während ich aufwuchs. Ich denke es benötigt einfach eine ganze Menge Zeit , Lebenserfahrung und »Erwachsenwerden«, um in der Lage zu sein solche Schritte zu gehen - für schwere und harte Zeiten dankbar zu sein - weil sie mich auch auf all die Herausforderungen, die das Leben bisher auf mich geworfen hat vorbereiteten - deswegen kann ich nun meinen Eltern ebenfalls irgendwie »Danke« sagen, weil sie mir dabei halfen zu der starken Persönlichkeit mit starkem Charakter zu werden, die ich heute bin.

Das bringt mich zu einem anderen Punkt, den ich heute ansprechen wollte: für einige von euch liest es sich vielleicht nach:

zu viel Glücklichsein
zu viel: endlich bin ich da, wo ich schon immer hätte sein sollen
zu viel: das ist der einzigste Weg um in meinem Leben glücklich zu sein

Tut mir leid wenn ich euch da enttäuschen muss - aber letztendlich fühlt es sich für mich einfach so an. Natürlich würde ich lügen, wenn ich behauptete dass es keine Höhen und Tiefen gibt, keine Stimmungsschwankungen, keine Schwierigkeiten mit denen ich klarkommen muss, dass ich mit meinen neu gewonnenen Gefühlen erst umgehen lernen muss, dass ich keinen großen Respekt vor all den bevorstehenden Operationen habe

aber alles FÜHLT SICH EINFACH RICHTIG AN!

So wie es einfach zu sein hat. Deshalb ist es letztendlich einfach so - es ist alles wahr.

Da kommt mir eine Redewendung in den Sinn, die schon immer hätte Teil meines Lebens sein sollen - und die nun endlich begann Teil unseres Familienlebens zu werden - und die zum Glück bei  Millionen Familien in aller Welt zuhause ist:

Alles wird gut - das wird alles wieder.


Unser Familienleben hat den Punkt erreicht, an dem wir wissen, dass diese Redensweisen wahr sind und sie geben uns täglich Hoffnung und Ziel. Es ist mein Wunsch, dass es euch und euren Familien ebenso geht.